Fischer
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Interview - 19.03.2021 - erschienen in: Deutsches Handwerksblatt Nr. 5, Regionalausgabe PfalzHandwerk im Rückblick und Ausblick

Nach einem Jahr Corona-Pandemie zieht Kammerpräsident Dirk Fischer Bilanz über die Entwicklung im pfälzischen Handwerk, die aktuelle Situation und die wichtigen Themen der Zukunft.

Corona fordert das Handwerk seit über einem Jahr in besonderem Maße heraus. Joachim Schwitalla sprach mit Dirk Fischer, dem Präsidenten der Handwerkskammer der Pfalz, über die aktuellen Probleme im pfälzischen Handwerk, über Hilfen durch Handwerkskammer und Staat, die Berufsausbildung Jugendlicher sowie über künftig notwendige Rahmenbedingungen zur
Stärkung des Handwerks.

Schwitalla: Herr Fischer, verglichen mit Handel und Gastronomie steht das Handwerk relativ gut da. Auf dem Bausektor und in den Werkstätten wird in die Hände gespuckt. Eigentlich könnten Sie mit der wirtschaftlichen Entwicklung in der Sparte zufrieden sein. Und dennoch, wo drückt der Schuh?

Fischer: Tatsächlich haben wir es im pfälzischen Handwerk mit einer sehr heterogenen Situation zu tun. In meinen Gesprächen mit den Obermeistern und den Landesinnungsmeistern der unterschiedlichen Gewerke habe ich erfahren, dass einige Gewerke zwar durchaus Umsatzrückgänge zu verzeichnen hatten, diese aber anderweitig auffangen konnten. So hatten beispielsweise einige Fleischer Einkommensverluste durch den Wegfall privater und gewerblicher Cateringaufträge, mehr Verkauf über die Ladentheke kompensierte jedoch diese Einbußen. Andere Gewerke, besonders Kosmetiker und Friseure, hatten dagegen wirtschaftliche Verluste, die existenzbedrohend waren und sind.

Schwitalla: Welche Möglichkeiten hat die Handwerkskammer, Betrieben unter die Arme zu greifen?

Fischer: Wir haben von Anfang an versucht, unsere Betriebe so gut wie möglich zu unterstützen. Wir haben letztes Frühjahr nach dem ersten Lockdown schnell und unbürokratisch kostenlose Masken an Friseur- und Kosmetikbetriebe verteilt. Wir bieten kostenlose rechtliche und betriebswirtschaftliche Beratung an, in den Spitzenzeiten der Pandemie sogar per Wochenend-Hotline. Unsere Beraterinnen und Berater stehen jedem Mitgliedsbetrieb bei der Beantragung der Finanzhilfen mit Rat und Tat zur Seite. Sie sagen, wohin man sich wenden muss, klären die Voraussetzungen, die erfüllt sein müssen, und vieles mehr.
Darüber hinaus habe ich immer das Ohr an der „Basis“ und spreche mit Betroffenen, um herauszufinden, wo der Schuh am meisten drückt. Die Handwerkskammer muss beispielsweise jetzt ihre Beiträge erheben, um ihre hoheitlichen Aufgaben in der Ausbildung, im Prüfungswesen, Handwerksrolle usw. weiterhin erfüllen zu können. Dazu verpflichtet uns der Gesetzgeber. Auch hier kommen wir aber den betroffenen Betrieben mit großzügigen Stundungs- und Ratenzahlungsangeboten entgegen. Viele Informations-, aber auch Aus- und Weiterbildungsveranstaltungen bieten wir virtuell an, damit sie von unseren Betrieben weiterhin genutzt werden können. Speziell bei den Friseuren führen wir in den ersten vier Wochen nach der Wiedereröffnung keine überbetriebliche Ausbildung durch, damit den Betrieben ab dem 1. März alle verfügbaren Kräfte im Salon zur Verfügung stehen.

Schwitalla: Welche Rückmeldungen haben Sie von Handwerksbetrieben über staatliche Wirtschaftshilfen in der Pandemie?

Fischer: Nun ja, die staatlichen Finanzhilfen verliefen ja bekanntermaßen sehr schleppend. Viele Betriebe haben spät – in einigen Fällen zu spät – ihr Geld bekommen. Das war und ist ein großes Problem. Auch der bürokratische Aufwand bei der Beantragung und die Tatsache, dass nur tatsächlich anfallende Kosten – nicht aber ein Unternehmerlohn – bei der Beantragung geltend gemacht werden konnte, stellt viele Betriebe, die von ihren Rücklagen leben, vor existenzielle Probleme. Wovon sollen die Leute denn leben und ihre Familien ernähren? Diese dringenden Probleme haben wir den Spitzenpolitikern des Landes als künftige politische Entscheider kürzlich in aller Deutlichkeit geschildert und Nachbesserung gefordert.

Schwitalla: Nicht erst seit gestern haben Sie die Vorteile der Digitalisierung im Handwerk erkannt. Mit DigiBoost, der Digitalisierungsförderung für den Mittelstand, beabsichtigt das Land Rheinland-Pfalz dem Handwerk finanziell unter die Arme zu greifen. Wie beurteilen Sie das Angebot?

Fischer: Digitalisierung ist nicht nur ein „nice to have“, sondern auf allen Ebenen ganz oben auf der Prioritätenliste: vom Ausbau der digitalen Infrastruktur über die technologische Modernisierung unserer Bildungszentren bis hin zu den Betrieben. Das Förderprogramm DigiBoost ist ein gutes und sinnvolles Programm, das speziell auf kleine und mittelständische Unternehmen – also auch auf viele Handwerksbetriebe – zugeschnitten ist, die in Digitalisierung investieren wollen. Wenn beispielsweise teure Hardware angeschafft werden muss, greift dieses Programm, bei dessen Entwicklung und Konzeption die Handwerkskammer eingebunden war. Abhängig von der Mitarbeiterzahl können Digitalisierungsvorhaben mit bis zu 15.000 Euro gefördert werden. Was gefördert wird und wie man das Geld beantragt, erklären unsere Digitalisierungsberater in festgelegten Online-Seminaren und auch auf Anfrage.
DigiBoost ist auf jeden Fall ein erster guter Schritt in eine ganzheitliche Digitalisierungsstrategie, die wir dringend brauchen, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Es ist ein Pilotprogramm, das wir begleiten und daraus die nächsten Schritte ableiten werden. Digitalisierung ist ja kein zeitlich begrenztes Projekt, sondern ein stetiger Prozess, den wir kontinuierlich weiterentwickeln müssen. Insofern kann ein Förderprogramm wie DigiBoost nur der Einstieg in eine zukunftsorientierte, umfassende politische Unterstützung sein. Diese Unterstützung könnte sich künftig auch auf die politischen Rahmenbedingungen, wie etwa bessere Abschreibungsmodalitäten, Ausbau der digitalen Infrastruktur, steuerliche Anreize für digitale Technik etc. erstecken.

Schwitalla: Für die überbetriebliche Ausbildung und für Weiterbildungsmaßnahmen sind die Berufsbildungs- und Technologiezentren Technologiezentren der Handwerkskammer in Kaiserslautern, Ludwigshafen und Landau zentrale Bildungseinrichtung. Welchen Beitrag für das Handwerk leisten die Zentren in Zeiten der Pandemie?

Fischer: Wir versuchen, in erster Linie die überbetriebliche Ausbildung (ÜLU), die prüfungsrelevanten Kurse sowie die eigentlichen Prüfungen in unseren Bildungszentren aufrecht zu erhalten. Dies geschieht natürlich unter strengen Hygieneauflagen. Wir mussten die ÜLU sogar zeitweise aussetzen, doch sobald es ging, haben wir wieder geschult. Die überbetriebliche Ausbildung in unseren Werkstätten ist für die Fachkräftesicherung der Betriebe enorm wichtig, denn wir müssen die Qualität der Ausbildung sichern und dürfen keine „Ausbildungsgeneration Corona“ erzeugen.

Schwitalla: Nicht spurlos ist Corona an der Berufsorientierung Jugendlicher vorbeigegangen. Welche Maßnahmen haben Handwerkskammer und Betriebe ergriffen, Jugendlichen eine Ausbildungsperspektive zu ermöglichen?

Fischer: Im letzten Jahr waren keine Ausbildungsmessen oder Infoveranstaltungen an Schulen möglich, sodass wir vermehrt virtuelle Berufsorientierungsveranstaltungen anbieten. Dazu zählen aktuell die Azubi-Online-Datings, die noch bis Ende März laufen und bei denen Ausbildungsinteressierte und Ausbildungsbetriebe zusammenfinden können. Auch digitale Berufsorientierung während des Homeschoolings, Videoclips und virtuelle Einsätze unserer Ausbildungsbotschafter an Schulen sowie die Teilnahme an virtuellen Elternabenden und Lehrerveranstaltungen gehören zu unserem Repertoire. Zudem soll jeder Betrieb, der ausbildet, seine offenen Lehr- und Praktikumsstellen online in die Lehrstellenbörse der Handwerkskammer eintragen, wo sie interessierte Schülerinnen und Schüler jederzeit über ihr Handy mit der App „Lehrstellenradar“ abrufen können.

Schwitalla: Richten wir den Blick in die Zukunft: Welche wichtigen Anliegen und Vorhaben stehen bei Ihnen ganz oben auf der Liste?

Fischer: Ganz oben auf unserer Agenda stehen verschiedene Vorhaben wie etwa die angesprochene Verstetigung von Förderprogrammen für die moderne Ausstattung der Betriebe und unserer Bildungszentren, die Heranführung der Schülerinnen und Schüler an praktische handwerkliche Arbeiten in den Schulen sowie – ganz dringend – die Einführung eines Azubi-Tickets.
Dies ist nicht nur ein Wunsch, sondern eine klar formulierte Forderung an die Politik: Wir brauchen in unserem Flächenland so schnell wie möglich ein kostenloses Azubi-Ticket, das unseren Auszubildenden eine kostenlose Nutzung des ÖPNV bei der täglichen Anfahrt zu ihren Ausbildungsbetrieben und überbetrieblichen Ausbildungsstätten ermöglicht. Dies wäre meines Erachtens unter optimaler Ausnutzung der bereits vorhandenen Kapazitäten durchaus möglich und sowohl ein ökonomisch als auch ökologisch sinnvoller Ansatz. Andere Bundesländer machen es doch vor – warum sollte dies bei uns nicht möglich sein? Das Azubi-Ticket wäre analog zum Semesterticket ein weiterer Schritt zur Gleichwertigkeit der akademischen und beruflichen Bildung und ein großer Pluspunkt für unsere Nachwuchswerbung. Ganz konkret: Das Azubi-Ticket muss in der nächsten Legislaturperiode kommen!

Schwitalla: Wie wollen Sie Ihre politischen Forderungen umsetzen?

Fischer: Wir stehen mit den politischen Entscheidungsträgern im fortlaufenden Dialog. In Gesprächen mit den Spitzenkandidaten der Landtagswahl stellten wir unsere Kernforderungen ganz klar und konkret vor und machten dabei auch Vorschläge zur Umsetzung. Und genau diesen Prozess werden wir dann auch unterstützend begleiten.
Wir haben aktuell im pfälzischen Handwerk gute Voraussetzungen, unsere Forderungen klar zu formulieren und auch durchzusetzen. Wir lassen uns nicht auf vage politische Zusagen ein, sondern wollen in den nächsten Jahren genau hinsehen, vieles bewegen und umsetzen. Dass es dem Handwerk als tragende Säule des Mittelstands gut geht, ist ja auch im Sinne der Politik. Denn eins ist sicher: Ein starkes Handwerk ist die Voraussetzung für ein starkes Land – beides ist untrennbar miteinander verbunden.