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HWK der Pfalz
Die Orgel in der Kirche Diedesfeld stammt aus dem Jahr 1963. Wegen Renovierungsarbeiten an der einsturzgefährdeten Decke musste die Orgel "ausgereinigt" werden. Bei der Arbeit: Renate Graser (l.), Markus Graser (r.) und Alexander Seyfried (Mitte).

17.09.2021 - erschienen in: Deutsches Handwerksblatt Nr. 15, Regionalausgabe PfalzIm Dienste "Ihrer Majestät"

2021 ist das Jahr der Orgel, der Königin der Instrumente. Elke Wickerath hat dem Orgelbaumeister Markus Graser aus dem pfälzischen Harthausen über die Schulter geschaut.

Die Königin der Instrumente erfüllt Räume mit einmaligen Klängen und berührt die Zuhörer – von den Kleinst- bis hin zu den großen, weltberühmten Kirchenorgeln. Jahrhundertealte Tradition sowie kunsthandwerkliche Innovationen zeichnen den Klangreichtum dieses großartigen Instrumentes aus. Deutschland zählt dabei zu den wichtigsten Ländern für die Weiterentwicklung des Orgelbaus und der Orgelmusik. Beides wurde 2017 unter dem Motto „Wissen. Können. Weitergeben.“ weltweit von der UNESCO als Immaterielles Kulturerbe der Menschheit anerkannt. „Jede Orgel ist ein Unikat, weil sie einzig für den architektonischen Raum erbaut wird, in dem sie erklingen soll. Das für den Orgelbau und die Orgelmusik notwendige hochspezialisierte Wissen und die besonderen Fertigkeiten wurden von Handwerkern, Komponisten und Musikern über Jahrhunderte entwickelt“, sagte Prof. Dr. Christoph Wulf von der Deutschen UNESCO Kommission. Im Jahr 2021 wurde die Orgel zudem von den deutschen Landesmusikräten zum Instrument des Jahres erklärt.

Doch Orgelbau ist ein rar gewordenes Handwerk. Der schulische Teil der dualen Ausbildung erfolgt lediglich an der Bundesfachschule in Ludwigsburg, Baden-Württemberg. Auch die Vorbereitungskurse (drei Trimester) zur Meisterprüfung werden nur dort angeboten. Rund 350 Orgelbaubetriebe gibt es derzeit noch in Deutschland. Viele werden in den nächsten Jahren dringend Nachfolger suchen.

Markus Graser konnte vor 22 Jahren keinen bereits bestehenden Betrieb übernehmen – sein Weg war ein anderer. Er war nach seiner Ausbildung zuerst bei einer größeren Firma beschäftigt und dort hauptsächlich im Außendienst tätig. So ist er in Speyer bereits seit 1982 unterwegs. Als sein Arbeitgeber Insolvenz anmeldete, beschloss er, ein eigenes Unternehmen aufzubauen und gründete 1999 seinen Betrieb mit Werkstatt in Dudenhofen. 2004 legte er die Meisterprüfung ab. „Wenn man hauptsächlich im Außendienst tätig war und dann einen Betrieb neu gründet, hat man es schwer“, sagt Graser. Doch durch seine Außendienstkontakte hatte er bei vielen Kunden bereits einen Fuß in der Tür. Durch eine glückliche Fügung wurde er etwas später vom Organisten des Speyerer Doms angesprochen und konnte so seine Kontakte zu den regionalen kirchenmusikalischen Kreisen knüpfen. Und so intoniert, stimmt, reinigt, repariert und restauriert sein Betrieb in über 170 Gemeinden in einem Radius von rund 250 km – angefangen bei der Kleinstorgel in der Friedhofskapelle über die Kirchenorgel bis hin zur Dom-Orgel in Speyer. „Das Gehör ist wichtig, aber auch die Schulung zählt, um dieses Instrument richtig zum Klingen zu bringen.“ Seine Tätigkeit umfasst viele Gewerke des traditionellen Handwerks, denn er bearbeitet Holz, Metall, Filz, Leder sowie andere Stoffe – und dies größtenteils nach alten Verfahrensweisen. „Der Einsatz von Warmleim, unter anderem bei Holzund Lederarbeiten, ist ein traditionelles Verfahren, das beispielsweise bei der Herstellung von Bälgen aller Art eingesetzt wird. Moderne synthetische Verbindungen wie Kleber, Leime und Kunststoffe enthalten chemische Produkte, die mit der Zeit ausgasen und ihre Funktion nicht mehr erfüllen“, erklärt der Orgelbaumeister.

Auf Flyer oder übliche Werbung könne er verzichten, denn Laufkundschaft gibt es in seinem Gewerk nicht. Seine Kunden gewinnt er über Mundpropaganda. Eine Internetseite hat er eingerichtet, über diese wenden sich jedoch hauptsächlich die jungen Pfarrer der Gemeinden an ihn.

„Nicht nur das Interesse am Beruf des Orgelbauers nimmt weiter ab, sondern auch der Nachwuchs an der Orgel fehlt “, bedauert der 62-Jährige. Und so dauerte die Suche nach einem Nachfolger fast fünf Jahre. Alexander Seyfried, einen ursprünglich aus Calw stammenden Orgelbaumeister, hat er letztendlich über den Bund Deutscher Orgelbaumeister (BDO) gefunden. Seyfried arbeitet sogar schon seit Mitte April in der Werkstatt in Dudenhofen mit. Einen Teil der Werkstatt hat er für den eigenen Gebrauch angemietet. Beide Orgelbaubetriebe sind zwar noch unternehmerisch getrennt, kooperieren aber bereits eng miteinander. Das Unternehmen ist damit exemplarisch für die Strukturen in diesem Handwerk: Es handelt sich meist um kleine Betriebe mit bis zu fünf Mitarbeitern. „Man kennt sich gut, unterstützt sich in Foren und hilft sich bei ganz speziellen Detailfragen aus. Da spielt Konkurrenz oft keine Rolle“, bestätigt Markus Graser.

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Markus Graser hinter der Orgel

In den ganzen Jahren der Selbstständigkeit wurde in seinem Betrieb nur eine Kirchenorgel erbaut. „Das war eine ganz besondere Herausforderung für mich, da ich mich in den zurückliegenden Jahren fast ausschließlich mit der Sanierung und Restaurierung von Bestandsinstrumenten beschäftigt hatte“, sagt Graser. Der Neubau von Orgeln sei rückläufig und werde hauptsächlich von größeren Firmen abgedeckt. Dabei handele es sich um größere Prestige-Projekte, beispielsweise für internationale Konzerthäuser. „Die Strukturen haben sich geändert und sind weiter im Umbruch: Kirchen werden geschlossen, Pfarreien zusammengelegt. Jedoch ist eine neue Tendenz erkennbar: Kirchen investieren nicht mehr nur in die Instandhaltung der Bausubstanz, sondern auch in die der Orgeln“, so Markus Graser. Die Partnerschaft mit Alexander Seyfried als Nachfolger sei diesbezüglich ein besonderer Glücksgriff gewesen, denn Seyfried hat in seiner bisherigen – auch internationalen – Laufbahn überwiegend neue mechanische Orgeln gebaut. Die Dritte im Team ist seine Frau Renate Graser, die seit über 15 Jahren handwerklich im Betrieb mitarbeitet. Die gelernte Industriekauffrau wollte ihren Mann von Anfang an unterstützen. Allerdings mit Werkzeugen und nicht am Computer.

Für die Wartung und Pflege der ihnen anvertrauten Instrumente sind die Grasers zu 80 bis 90 Prozent ihrer Arbeitszeit in den Kirchen beschäftigt. Vor allem Schimmel und Bleikorrosion setzen den historischen Orgeln zu. Für den fachgerechten Umgang mit diesen teils gesundheitsschädlichen Bedrohungen haben Markus und Renate Graser mehrere von BDO und TÜV angebotene Seminare besucht und entsprechende Zertifikate erworben. Sobald sich der Ausbau und aufwändige Abtransport von Orgelteilen (Pfeifen, Windladen, Spieltische, Bälge etc.) rechnet, wird die Sanierung bzw. Restaurierung der Teile in der eigenen Werkstatt durchgeführt. Das spart Fahrzeiten und der Kirchengemeinde Heizkosten. „Alles in allem stellen die Arbeiten an der Orgel auch körperlich einige Anforderungen an die Gesellen und Meister. Und wenn sich „Majestät“ unwohl fühlt und indisponiert ist – vorzugsweise vor großen Messen und Konzerten – stehen wir stets, auch am Wochenende und an Feiertagen, zu Dienste“, lachen die Grasers. „Aber das Schöne an diesem außergewöhnlichen Handwerksberuf  ist, dass während der oft anstrengenden Tätigkeiten immer eine Beziehung zur Orgel entsteht. Es ist ein erhebender Moment, wenn nach monatelanger mühseliger Arbeit die „Königin“ zum ersten Mal wieder ihre Stimme erhebt“, schwärmt Graser.

Nach mehr als 40 Jahren im Dienste der „Königin der Instrumente“ wird nun ein lang gehegter Wunsch des Orgelbaumeisters und seiner Ehefrau wahr: Der gut eingeführte Betrieb kann mitsamt Kundenstamm sorgfältig und mit genügend zeitlichem Vorlauf an Alexander Seyfried übergeben werden. Die für alle Beteiligten erfreuliche Nachfolgeregelung ermöglicht es vor allem, dass dieses traditionelle und seltene Handwerk in unserer Region erhalten bleibt.

Orgelbau Graser bietet regelmäßig Führungen und Praktikumsplätze für Interessierte an. Kontakt: info@orgelbau-graser.de;  orgelbau-graser.de.

Zur Sache

Viele Orgeln befinden sich in denkmalgeschützten Gebäuden oder stehen selbst unter Denkmalschutz. Es gibt rund 50.000 Orgeln in christlichen Kirchen in Deutschland. Einige Instrumente sind Jahrhunderte alt und wurden im Laufe der Zeit verändert oder erweitert. Andere Orgeln wiederum stammen aus den Nachkriegsjahren ab 1950, als viele Kirchen wiederaufgebaut oder komplett neu errichtet wurden.