15.07.2022 - erschienen in: Deutsches Handwerksblatt Nr. 12, Regionalausgabe PfalzTischlerkleidung statt OP-Kittel
Nach 22 Jahren als Chirurgin erfüllt sich Tina Ranneberg einen Jugendtraum und macht eine Ausbildung zur Tischlerin.
Die Arbeit im Team gefällt ihr sehr gut. „Sie macht Riesenspaß. Die Stimmung ist prima. Es macht mir Freude, jeden Tag zur Arbeit zu fahren.“ Tina Ranneberg (50) muss nicht lange überlegen. Ihre Entscheidung, nach 22 Jahren ihren Beruf als Ärztin zugunsten einer Ausbildung als Tischlerin an den Nagel zu hängen, hat sie nicht bereut. Nach mehreren Praktika hat sich die Medizinerin mit dem Schwerpunkt Thoraxchirurgie, die zuletzt im Klinikum in Ludwigshafen täglich im OP stand, für eine Ausbildung in der Möbelwerkstatt von Fabian Frey in Böhl-Iggelheim entschieden.
Bereits in ihrer Kindheit war sie vom Tischlerhandwerk angetan. „Ich erinnere mich noch gut, als meine Eltern in den 70er Jahren ihr Haus gebaut und der Tischler seine Arbeiten verrichtet hat.“ Als Tochter einer Akademikerfamilie hat ihr Leben eine andere Spur genommen. Ein Studienplatz in Medizin war für Tina Ranneberg ein Leichtes. „Das Studium an der Medizinischen Fakultät in Heidelberg hat Spaß gemacht.“ Dem Facharzt in Allgemeinchirurgie folgte eine Ausbildung in der Thoraxchirurgie. „Wenn nicht jetzt, wann dann?“, sagte sich die promovierte Ärztin und verschaffte sich über Praktika ein Bild von ihrem neuen Berufswunsch. Die Wahl fiel auf die Möbelwerkstatt Fabian Frey. Der Firmenchef war damit einverstanden, dass sie ihre Ausbildung von drei auf zwei Jahre verkürzt. „Ich habe keinen Tag bereut“, so die angehende Tischlerin. „Einfach super, etwas ganz Neues zu machen und eine andere Berufswelt zu erfahren.“
Ihr früherer Job als Chirurgin war ebenfalls abwechslungsreich. Immerhin sei es auch eine Art handwerkliche Arbeit gewesen, verweist sie auf Operationen mit Skalpell und chirurgischer Säge. Die Chirurgie sei eine von Männern dominierte Welt mit hoher Verantwortung und großem Konkurrenzdenken. „Mein Chef hat mich nicht gerne gehen lassen.“ Noch wisse sie nicht, wo ihr neuer Weg sie hinführe. Für Tina Ranneberg gut zu wissen, „im alten Job immer Fuß fassen zu können“.
Als Ergänzung zur Arbeit in der Werkstatt besucht sie die Fachklasse für Tischler in der Berufsbildenden Schule in Ludwigshafen. Ergänzt wird die betriebliche Arbeit durch eine überbetriebliche Ausbildung im Berufsbildungs- und Technologiezentrum der Handwerkskammer der Pfalz in Ludwigshafen. Unter wesentlich jüngeren Mitschülern sei sie schon ein „komischer Vogel“. Fachkunde ist für sie neu und muss von ihr ebenso gelernt und verstanden werden. „Mathematik bekomme ich ganz gut hin.“
Was Tina Ranneberg an ihrem neuen Beruf besonders schätzt, ist der Umgang mit dem Rohstoff Holz. „Ich mag Massivholz – und da bin ich in der Möbelwerkstatt Fabian Frey genau richtig.“ Zu ihrer ersten Tätigkeit gehörte das Anbringen einer Holzverkleidung an der Vorderseite der Tischlerei. Momentan hat ihr Chef sie mit der Fertigung von Holzständern für Speisekarten beauftragt. Nicht ohne Glanz in den Augen berichtet Tina Ranneberg von einem Tisch aus Kastanienholz, den sie außerhalb der Arbeitszeit für eine Ausstellung zum Saisonauftakt im „Haus der Nachhaltigkeit“ in Johanniskreuz alleine gefertigt hat.
Die Wahl ihres neuen Berufes hat Tina Ranneberg nicht bereut. Sie schätzt ihre handwerkliche Arbeit, das Miteinander im Team mit ihren Kollegen und nicht mehr die Verantwortung tragen zu müssen, die ihr als Chirurgin aufgetragen war. Dass der Berufswechsel für sie finanzielle Einbußen darstellt, damit kann sie leben. „Ich habe ja 22 Jahre lang gut verdient und angespart.“ Nicht abgeneigt ist sie, nach ihrer Ausbildung den Meisterbrief anzusteuern.
„Sie wollte zu uns“, erinnert sich Fabian Frey (31), der seine Ausbildung zum Tischler mit 16 Jahren begonnen hatte, selbst mit einer Ärztin liiert ist und seit 2015 in Böhl-Iggelheim seinen eigenen Möbelbau betreibt. „Sie kann bleiben, wenn sie das wünscht“, so der Tischlermeister. Er habe schon mehr Umschüler in seinem Betrieb gehabt. Tina Ranneberg passe gut zum Team, dem neben einer weiteren Meisterin noch vier Gesellen und vier Auszubildende angehören.
Ansprechpartner bei der Handwerkskammer der Pfalz für Informationen zu Ausbildung und Umschulung: Thorsten Requadt, Tel.: 0631/3677-234; E-Mail: trequadt@hwk-pfalz.de.